Shanghai, 29. November 2009

Laufabenteuer einer Langnase

 

Der Shanghai-Marathon ist eine ganz spezielle Veranstaltung. Das habe ich am vergangenen Sonntag kennengelernt. Man muss einfach das Abenteuer lieben und darf sich nicht an dem ganzen Drumherum stoeren. Letzteres kann einem allerdings ganz schoen Kopfschmerzen bereiten. Um beispielsweise den Vekehr in der Millionenmetropole tagsueber nicht zu stoeren, wird sinnvollerweise mit den Vorbereitungen kurz nach Mitternacht begonnen. Interessant war vor allem der Soundcheck der 100 000 Watt-Anlage am Start, der von 2 bis 4 Uhr nachts vorgenommen wurde.

Da wir uns morgens eine lange Anreise zur Startlinie ersparen wollten, hatten wir uns ein Hotel in der Stadtmitte genommen. Grosser Fehler! Punkt 2 Uhr war die Nacht vorbei. Um 6.30 Uhr war dann Aufstellen angesagt. In militaerischem Drill wurden wir per Megaphon in den Laufbereich eingewiesen. Da es ziemlich frisch war, war ich froh, dass ich mir einen Muellsack mitgenommen hatte. Als Langnase ist man schon eine Attraktion, aber als Langnase im Muellsack war ich ein echter Hingucker fuer die Chinesen. Eifrig wurde ich fotografiert. Start war dann um 7.30 Uhr.

Eines muss man ihnen ja lassen, den chinesischen Laeufern, Laufdisziplin haben sie leider wenig. Wichtig ist, dass man sich moeglichst beim Aufstellen irgendwie noch ganz nach vorne draengelt. Alles ist erlaubt, solange man dabei laechelt. Weil einfach jeder nach vorne will, ist es dann vom Start her nicht einfach, wegzukommen. Einige hielten sich zudem an der Hand und sangen beim Loslaufen, andere mussten sich kurz hinter der Startllinie nach dem Startschuss nochmals die Schnuersenkel binden (Achtung, boese Stolperfalle!). Ganz beliebt ist auch das Stehenbleiben und Schwenken der mitgebrachten Fahnen und Banner oder das abrupte Anhalten, um ein Gruppenfoto zu machen. Obwohl ich aus der Mitte des Feldes heraus gestartet bin, war an das Aufnehmen eines gleichmaessigen Tempos bis Kilometer 6 nicht zu denken. Da habe ich in etwa auch den Laeufer mit dem Sakko und den Jeans ueberholt.

Alle wollten halt mitlaufen. Insgesamt waren es ueber 20.000 Teilnehmer aus 52 Nationen. Die Streckenfuehrung ging mitten durch die City. Manchmal wurden 2 Fahrbahnen fuer die Laeufer reserviert, waehrend auf den anderen nebenan der Verkehr weiter rollte. Ich erinnere mich an ein Teilstueck, als wir an vielen Bussen und LKW's vorbei mussten, die uns von links her voll einnebelten. Hier hab' ich dann meinen Rekord im Marathon-Luftanhalten aufgestellt. Einmal ist ein PKW aus der wartenden Schlange ausgeschert und der Fahrer versuchte, ihn auf der fuer die Laeufer reservierten Fahrbahn zu wenden. Nur ein Sprung zur Seite hat mich gerettet.

Und angefeuert wurden wir! "cha io!, cha io!" (oder so aehnlich....) toente es entlang der Strecke. Meist waren es Frauengruppen im bunten Ganzkoerper-Frottee-Dress, die klatschend und trommelnd die Laeufer anfeuerten. Wenn man das noch nicht kennt, laeuft man Gefahr, einfach stehen zu bleiben, um das Ganze mit offenem Mund zu bestaunen. Es geht kein Weg dran vorbei, in Bezug auf den Abenteuerfaktor bekommt der Shanghai-Marathon die Hoechstnote. Meine Zeit war dann ueberraschenderweise doch nicht ganz so schlecht wie anfangs erwartet. Am Ende beendete ich die Halbmarathonstrecke in 1:38:42 h, das ergab Platz 346.

Naechstes Jahr bin ich wieder dabei, keine Frage! Bis dahin weiss ich dann auch hoffentlich was "cha io, cha io" heisst.....

Text und Fotos Thomas Schiele