Koblenz, 06. Juni 2009

Tagebuch eines Marathonlaufs

Ulrich Ha. (Osse) lief am Samstagabend beim Mittelrheinmarathon. Lest hier seine "Tagebuchaufzeichnungen":

Freitag, 5.6.2009, 22 Uhr. In Umsetzung der Ratschläge von Herbert Steffny ( Das große Laufbuch, S. 172) absolviere ich einen ausgiebigen Gaststättenbesuch. Man fragt mich, weshalb man Marathon läuft. Meine Antwort lautet: Weil es Spass macht.

Samstag, 6.6.2009, 12 Uhr. Ich bin guter Dinge. Frisch geduscht, extra noch zum Haarstudio Andrea nach Kallstadt gefahren, um mir eine windschnittige Frisur zuzulegen. Man will ja bei seinen sportlichen Erfolgen gut aussehen. Die Lauftasche ist gepackt, nichts ist vergessen, selbst an zwei Marmeladenbrötchen habe ich gedacht. Nur das Wetter wirkt etwas seltsam, aber das wird sicher noch.

Samstag, 6.6.2009, 14 Uhr. Ich fahre auf der Autobahn nach Koblenz, neben mir sitzt mein Sportsfreund Peter M. aus U. Er döst. Die Scheibenwischer gehen auf Hochtouren. Wir schrauben uns in den Hunsrück hoch, das Aussenthermometer sinkt immer weiter. 12 Grad, 11 Grad.... 8 Grad. Schon meine ich, durch den Regenschleier erste Schneefelder zu erkennen.

Samstag, 6.6.2009, 15 Uhr 30. Wir stehen im Hauptbahnhof Koblenz rum. In das übliche Bahnhofspublikum aus Reisenden und Schnapsnasen mischen sich Hunderte von Läufern und Inlinern. Da es sich um einen Streckenlauf handelt, müssen wir mit dem Zug zum Startort nach Oberwesel gelangen.

Samstag, 6.6.2009, 17 Uhr. Mit einiger Verspätung ist endlich ein lächerlich kurzer Sonderzug eingerollt. Der Körperkontakt zu den anderen Sportlern ist intensiv, man schmiegt sich aneinander. Der Sauerstoff ist schnell verbraucht, aber immerhin können wir die Körperwärme der anderen geniessen.

Samstag, 6.6.2009, 17 Uhr 45. In Oberwesel angekommen, hat der Regen aufgehört. Startnummerausgabe geht problemlos, danach stellt sich die schwierige Frage nach der richtigen Bekleidung. Ich entscheide mich für ein langärmliges Laufhemd, obendrüber das ärmellose rote LT-Shirt. Dann langsam zum Start trotten.

Samstag, 6.6.2009, 18 Uhr 30. 3 KM gelaufen. Alles fühlt sich gut an. Ich wollte einen 5er Schnitt laufen, bis jetzt waren die KM so 5-10 Sekunden schneller. Das scheint mir so o.k.. Die Strecke ist schön, der Rhein fliesst ruhig in Laufrichtung, oben auf den Felsen stehen Burgen, Weinreben krallen sich an die Steilhänge. Es war doch richtig, sich einen schönen Landschaftsmarathon auszuwählen.

Samstag, 6.6.2009, 19 Uhr 30. Es läuft. Bei KM 15 bin ich ca. 2 Min vor meiner gepeilten Zeit. Ausser ab und zu ganz leichtem Sprühregen bleibt es trocken.

Samstag, 6.6.2009, 20 Uhr. Bald ist Halbzeit. in die anfängliche Euphorie schleichen sich erste, ganz leichte Misstöne. Die Beine müssten eigentlich bei KM 20 noch wie geölt marschieren. Doch irgendwie fängt es schon an zu kneifen. mal sehen.

Samstag 6.6.2009, 20 Uhr 10. 22 KM gelaufen. es fängt alles an irgendwie lästig zu werden. Die schöne Landschaft interessiert nicht mehr so richtig. Ich stelle meine Uhr auf Null und beschliesse, dass ich jetzt noch 2 10er Läufe absolviere. Wenns geht, beide in jeweils 50 Min.

Samstag, 6.6.2009, 20 Uhr 40. Irgendwie gehts weiter. ich kann den 5er Schnitt halten. Leider merke ich, dass ich schon die KM zähle. Die Lockerheit ist weg. Da es die letzten KM windstill war, wird mir warm. Ich ziehe mein Langarm-Shirt aus.

Samstag, 6.6.2009, 21 Uhr 10. Meinen ersten 10er habe ich irgendwie noch hingekriegt in 50 Min. Jetzt noch einen 10er. Alles tut weh. Bei KM 33 patscht mir was auf die Schulter, von hinten kommt Sportsfreund Müller: "Wie osse, siehschd jo subber aus". Ich weiss, das er lügt. Aber ich sage nichts. Aber ich bin froh das er da ist.

Später. Bei KM 35 gibts endlich Cola. Ich denke ans Aufhören.

KM 37: Ich denke immer noch ans Aufhören. Es wird kalt. Ich denke: Wenn ich mir jetzt mein Langarm-Hemd wieder anziehe, komme ich nie mehr in die Gänge. Also so weiter. Allmählich kommt Koblenz. Links ein altes Fabrikgebäude, in dem die Bar "Ugly Coyote" untergebracht ist. Auf dem Weg dorthin Gruppen jüngerer bis mittelalter Männer, Bierflaschen in der Hand, Urinieren an den Strassenrand, das volle Programm. Nein, vor solchen Idioten kann man nicht stehen bleiben. Das geht nicht.

KM 38: Anfangs hatte ich gedacht: Bei KM 38 biste durch. Ist aber nicht so. Ich setze mir kleinste Ziele: Die Ampel da vorne noch. Die Dicke aus dem Staffelwettbewerb mit dem grünen Jogginganzug. Alles tut weh. Ich merke, dass ich langsamer werde. Komisch, die Vorbereitung war doch so gut.

KM 40: Jetzt packe ich den Rest auch noch. Motivation spenden die Wahlplakate mit den örtlichen Lokalpolitikern, die alle entweder wir Bertie Vogts oder wie Reiner Calmund ausehen. Schon scheint ein Zieleinlauf zu kommen, doch es ist ein Scheinziel. Ein Idiot mit Mikrofon schreit herum, dass es nur noch 2 KM seien. Peter M. läuft immer 4 Schritte vor mir, was sehr gut für mich ist.

Später. Ich sitze auf einer Bank hinter dem Ziel. Meine Zielzeit habe ich nicht mitbekommen. Mittlerweile ist es dunkel. Peter bringt Erdinger. Obwohl der Durst groß ist, ist mir einfach zu kalt zum Trinken. Mein Kiefer klappert. Erst nachdem ich sämtliche trockenen Kleidungsstücke aus dem Kleiderbeutel angezogen habe, wird es besser.

Der Shuttlebus zum Parkplatz hält auf unser Winken direkt vor uns an, der Fahrer begrüsst uns freundlich. Im warmen Bus geht es gleich wieder besser.

Sonntag, 7.6.2009. Die Ergebnisliste im Internet zeigt 3:32. Eigentlich erfreulich, aber kein gefühlter Sieg: Das mit dem Spass ist gegen Ende ein wenig kurz gekommen. Vielleicht das nächste Mal ?